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Musik aus dem Kaff
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Musik aus dem Kaff

„Hicktown Records“ aus Nicklheim sind vielfältig und bunt

Land unter in Rosenheim, aber noch mehr in der „Hicktown“ Nicklheim. Der Besuch beim Aufnahme- und Tonstudio von Hicktown Records, zugleich Sitz des gleichnamigen Plattenlabels, steht unter einem feuchten Stern. Es regnet, was der Himmel hergibt. Die Feuerwehren sind im Dauereinsatz, aufgeregte Hausbesitzer sind mit Eimern und Schläuchen zugange um ihre Keller trocken zu halten oder wieder trocken zu legen.

So steht auch der Gründer, Inhaber und Mastermind Reinhard Gross etwas unter Strom bei der Begrüßung – weil der Strom ausgefallen ist im Raublinger Ortsteil. Und der Strom betreibt die Pumpe, die das teure Equipment im Keller vor dem Wassereinbruch schützen soll. Da kann man schon mal nervös werden. Das Angebot, den Besuch lieber auf einen trockeneren Termin zu verschieben, lehnt er aber ab. Wenn man schon mal da ist, kann man sich auch über seinen selbst erfüllten Traum unterhalten. Und zum Glück ist der Strom nun auch wieder da, sodass die Anspannung etwas weicht.
„Wie begann denn die Geschichte von Hicktown Records?

„Seit ich 14 bin spiele ich in Bands, die bekannteste war damals die Punk-Band „Swally or Spit“, heute ist es wohl die Hip-Hop-Combo „K-STE“. Schon damals habe ich unsere Aufnahmen und auch welche für befreundete Musiker gemacht und vom eigenen professionellen Studio geträumt. Selbst den Namen „Hicktown Records“ gab es schon. Eine „Hicktown“, das ist im amerikanischen Sprachgebrauch schlicht und einfach der Ausdruck für ein kleines Kaff. Nach dem Schulabschluss an der FOS ging es weiter mit einem Tontechnikstudium von 2006 bis 2009 am SAE Institute in München. Was ich da gelernt habe und die Erfahrungen, die ich mit dem eigenen Studio und Label gemacht habe, gebe ich dort heute in Vorlesungen und Seminaren rund um die Technik und auch das Business um den Musikbetrieb weiter.“

„Und dann kam das Studio.“

„Offiziell habe ich es 2009 gegründet, damals mit einem kleinen Studio aus Aufnahme- und Mischraum. Übernachtet haben die Musiker zum Teil im Erdgeschoss unseres Hauses. Die Plattenfirma folgte dann 2010.“

„Wie kam es zu diesem Schritt?“
„Das kam irgendwie auf Wunsch von Bekannten zustande. „Grubi & die Torfköpfe“ aus Nicklheim, vermutlich damals die einzige Ü40-Familienväter-Boygroup, wollten ihren Song „Nicklheim – ich will wieder in die Berge“ veröffentlichen. Das haben wir gemacht und das Lied wurde ein regionaler Hit. Den Gewinn aus den etwa 400 verkauften CDs hat die Band dann an den Verein „Die Fuizler“ gespendet, der sich um den Erhalt der Torfkultur in Nicklheim kümmert.“

„Also gingen Punk und Boyband durchaus zusammen?“

„Ja, da gab es keine Probleme mit den verschiedenen Genres. Heute spezialisieren wir uns auf Indie, Rock, Rock‘n‘Roll, Punk oder Hardcore – Hauptsache, die Musik ist handgemacht und ehrlich. Wenn alles passt, können wir auch für Newcomer und kleinere Bands professionelle Produktionen ermöglichen. Dabei übernehmen wir bis zu 40 Prozent der Produktionskosten und auch einen Teil der Promotionskosten. Mit „Cargo Records“ haben wir einen Vertriebspartner, der die Musik sowohl digital auf den wichtigen Plattformen anbieten als auch Plattenläden mit CDs oder Schallplatten bestücken kann. Wir bewerben die Bands und Künstler per E-Mail, Telefon, dem Versenden von Promo-Tonträgern und versuchen, die Musik auch im Radio und auf anderen Sendeplattformen unterzubringen. Etwa 6000 Ansprechpartner haben wir hier gesammelt, die wir regelmäßig kontaktieren. Wir geben unseren Künstlern viel Freiheit, setzen sie wenig kommerziellem Druck aus. Das kommt uns auch zugute. Denn Bands wie „Vroudenspiel“, die durchaus auch Angebote von den großen Firmen hatten und haben, schätzen es, wenn sie sich in ihrem eigenen Tempo entwickeln können und bleiben uns treu.“

Wer könnte denn den großen Sprung schaffen?

„Derzeit sind es wohl „Kaffkiez“, eine Rosenheimer Band, die mit „Nie Allein“ großen Erfolg und richtig viel Spielzeit auch im Radio hat.“
Man muss aber nicht bei eurer Firma unter Vertrag sein, um in Nicklheim aufnehmen zu können?
„Natürlich nicht. Unser Studio kann von jedermann besucht werden, um Aufnahmen zu machen. Wir unterstützen dabei in genau dem gewünschten Maß. Das heißt, die Musiker können zum Beispiel nur das Studio zur Aufnahme nutzen und das Material dann mitnehmen und anderweitig bearbeiten, oder aber wir übernehmen die komplette Produktion inklusive Abmischen. Und natürlich gehen auch sämtliche Nuancen dazwischen. Außerdem vermitteln wir im Bedarfsfall Musiker, die für die Aufnahmen benötigt werden oder verleihen benötigtes Equipment. Oder unser Komponist und Arrangeur hilft, wenn zum Beispiel eine Melodie in einen Orchestersatz verwandelt werden soll. Dafür haben wir ein solides Netzwerk aufgebaut.“

Wer kommt denn da zum Aufnehmen?

„Das ist eine bunte Mischung. Das können Mädels sein, die einen Song für einen Junggesellinnenabschied aufnehmen wollen oder jemand, der einen Jochen-Schweizer-Gutschein geschenkt bekommen hat. Und dann natürlich Musikgruppen und Bands aller möglichen Stilrichtungen, von Schlager bis Metal, vom Kammerchor bis Hip-Hop. Eigentlich kann jeder kommen, der etwas aufnehmen möchte und entscheiden, inwieweit wir dabei unterstützen.“
Was wird passieren, wenn eine eurer Bands durchstartet und einen Welthit landet und damit auch Hicktown Records im Geld schwimmen?
„Da müsste natürlich schon viel passieren, damit es soweit käme. Aber wenn, dann würden wir vielleicht über einen Neubau nachdenken mit noch mehr Platz. Aber vorerst sind wir mit unseren 300 Quadratmetern auch so glücklich.

Mit „Swally or Spit“ wäre es uns ja fast gelungen, dank des Fußballers Pierre-Emerick Aubameyang, der 2016 bei Dortmund spielte. Als ein Journalist ihm gegenüber von einem „Affenzirkus“ bei Borussia Dortmund sprach, bekam er das in den falschen Hals und fasste den Begriff als rassistisch auf. Beim Googlen stieß er wohl auf unser Album mit dem gleichnamigen Titel. Auf dem Cover abgebildet ist ein Affe, der die Hand zu einem verbotenen Gruß streckt und eine Armbinde mit geschälter Banane trägt. Das hat Aubameyang dann als Beweis für seine Ansicht in den sozialen Netzwerken gepostet. Und wir hatten eine riesige Aufmerksamkeit, wenn auch unfreiwillig. Dass das Album aber absolut gesellschaftskritisch zu sehen ist, unterstreichen Songtitel wie „Nazi Pack“ oder „Good Night, White Pride“.

Dumm war nur, dass wir zu der Zeit keine Songs vom Album online hatten und das auch nicht auf die Schnelle ändern konnten…
Auch wir als Label sind übrigens absolut gegen jede Form des Rassismus und suchen Vielfalt nicht nur in der Musik. Schließlich sind auch wir ein echt bunter Haufen.“

Interview: Robert Nusser

 

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