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„Das geht nicht einfach vorbei!“
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„Das geht nicht einfach vorbei!“

„Bei einem Fünftel der Kinder und Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren finden sich Hinweise auf ein gestörtes Essverhalten, wobei Mädchen fast doppelt so häufig betroffen sind wie Jungen.“ Zu dieser ernüchternden Bilanz kommt das Robert Koch Institut (RKI) in einer Untersuchung zum Thema.

Und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) konkretisiert: Von 1000 Mädchen und Frauen in Deutschland erkranken im Laufe ihres Lebens durchschnittlich etwa 28 an einer Binge-Eating-Störung, 19 an Bulimie und 14 an Magersucht. Jungen und Männer sind deutlich weniger betroffen: Von 1.000 erkranken im Laufe ihres Lebens durchschnittlich etwa zehn an einer Binge-Eating-Störung, sechs an Bulimie und zwei an Magersucht. Damit sind die drei häufigsten Erkrankungsformen der Essstörung benannt, eine Analyse, die auch Sophia Amschler, M.sc. Psychologin und Leiterin der Beratungsstelle des Therapienetzes Essstörung in Rosenheim, teilt. Wir sprachen mit ihr über diese Erkrankungen, woran man sie erkennt und wo man selbst, Angehörige und Freunde Hilfe finden kann.

Frau Amschler, das Thema Essstörung ist komplex. Gibt es Zeichen, Symptome, bei denen man selbst oder als Angehöriger in diesem Zusammenhang aufhorchen sollte?
„Zunächst eine kurze Erklärung der häufigsten Arten der Erkrankung. Typisch für eine Magersucht oder Anorexie ist ein starker Gewichtsverlust oder anhaltendes Untergewicht. Betroffene haben Angst davor, zuzunehmen oder zu dick zu sein. Daher schränken sie ihre Nahrungsaufnahme ein und nehmen immer weiter ab. Obwohl sie auffallend dünn sind, empfinden sie sich selbst als unförmig und dick.
Das Hauptsymptom einer Bulimie sind regelmäßige Essanfälle. Bei so einem Anfall essen Betroffene innerhalb kurzer Zeit deutlich mehr als die meisten Menschen in einer vergleichbaren Situation. Sie haben das Gefühl, nicht mehr mit dem Essen aufhören zu können und auch nicht kontrollieren zu können, was und wie viel sie essen. Aus Angst vor einer Gewichtszunahme greifen Menschen mit einer Bulimie zu unangemessenen Gegenmitteln, etwa unregelmäßigem Essen, Hungern und Fasten oder übermäßig viel Sport. Zudem führen Betroffene Erbrechen herbei oder nutzen Medikamente wie Appetitzügler, Abführmittel oder entwässernde Stoffe.
Menschen mit einer Binge-Eating-Störung leiden unter immer wiederkehrenden Essanfällen. Sie nehmen innerhalb kurzer Zeit große Nahrungsmengen zu sich und haben das Gefühl, die Kontrolle über ihr Essverhalten zu verlieren. Sie leiden unter diesen Essattacken, die sie vor anderen Menschen verheimlichen, extrem und sind von Schuldgefühlen oder Depressionen geplagt.
Dazu gibt es noch einige Mischformen, bei denen die Kriterien für eine der drei Krankheiten nicht komplett zutreffen. Diese sind jedoch genauso belastend und haben ebenso gravierende körperliche und psychosoziale Folgen für die Betroffenen.“

Was verbindet diese unterschiedlichen Formen der Essstörung?
„Sie alle haben auf unterschiedlichste Weise und auf Dauer schwere körperliche Schäden zur Folge: Herz-Kreislaufprobleme, Osteoporose, Konzentrationsschwäche, Zahnschäden insbesondere bei Bulimie oder Diabetes bei starkem Übergewicht, um nur einige zu nennen. Außerdem verbindet alle Formen der Essstörung, dass sie oftmals mit Gefühlen wie Scham, Zweifeln oder Angst besetzt sind und von verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Depressionen begleitet werden. Essen verliert seinen natürlichen, selbstverständlichen Wert, der Genuss geht verloren; an diese Stelle rücken Gefühlsdämpfung, Beruhigung oder das Bedürfnis nach Kontrolle. Massive Essstörungen sind in keiner Form etwas, das man in der Regel allein bewältigen kann, keine Lifestylephase, die einfach vorbei geht!“

Thema Hilfe: Das Therapienetz Essstörung ist seit 2009 in bayernweit zwölf Beratungsstellen professioneller Ansprechpartner für Betroffene und ihr Umfeld. Welche Erfahrungen haben Sie als Leiterin der Beratungsstelle Rosenheim gemacht? Was kann man tun, wie unterstützen?
„Grundsätzlich gilt für Betroffenen wie das besorgte Umfeld: Eine fundierte Beratung und daraus resultierend eine professionelle, therapeutsche Begleitung stehen am Anfang des Weges – egal, ob sich die Essstörung erst anbahnt und sich erste Bedenken einschleichen, oder ob sich das Krankheitsbild schon länger manifestiert hat.
Unsere Beratungsstelle bietet anonyme und kostenfreie Beratung an, für Betroffene wie auch deren Angehörige. In ausführlichen Gesprächen können so Möglichkeiten ausgelotet, Wege aufgezeigt werden. Das kann der Hinweis auf Selbsthilfegruppen, die Vermittlung von spezialisierten Kliniken, Tageskliniken oder ambulanter Psychotherapie sein, ebenso wie eine Ernährungsberatung hier im Haus oder die enge Kooperation mit niedergelassenen Ärzten. Hier kommt uns zugute, dass wir über ein großes Netzwerk an spezialisierten Kooperationspartnern verfügen.
Zudem ist es ein großer Vorteil, dass wir in unserer Beratungsstelle als niedrigschwelliges Angebot relativ zeitnah Termine vergeben können.“

Wie kann man mit Ihnen Kontakt aufnehmen?
„Wir sind persönlich für die Menschen da, über Telefon, Online-Chat, Video-Chat und E-Mail. Einen Termin kann man online buchen über tness.de/kontakt/unsere-standorte/rosenheim/, per E-Mail an beratung@tness.de oder telefonisch unter 0 80 31/2 71 56 87.“ ff

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