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Keine Denkverbote
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Keine Denkverbote

Die Zukunft der häuslichen Pflege – Schlüsselveranstaltung im katholischen Bildungswerk

Mit einem engagierten Aufschlag fordert Agnes Bachmann, Akademieleiterin und Geschäftsführerin der Katholische Akademie für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen in Bayern e.V. in Regensburg eine Organisations- und Strukturveränderung in der Pflege.

„Wir haben keine Pflegekatastrophe, sondern eine gesellschaftliche Katastrophe“, so ihr grundlegendes Statement. Die Ausgangssituation sei bekannt: Für das Jahr 2030 werden sechs Millionen Pflegebedürftige in Deutschland prognostiziert, die Baby Boomer gehen in den Ruhestand, die Zahl älterer Mitarbeiter steigt, neue Arbeitskräfte sind nicht vorhanden. Das aktuelle System ist nicht ressourcenorientiert, die konkreten Ansprüche sind nicht verstehbar, Leistungsansprüche können aufgrund mangelnder personeller Ressourcen nicht erfüllt werden, die Stellen sind nicht vernetzt, dies seien nur einige Punkte. Es sei eine Veränderung der gesellschaftlichen und familiären Strukturen erforderlich. Agnes Bachmann fordert ein interdisziplinäres, institutsübergreifendes System, sozial, mit geteilter Verantwortung, basierend auf der einer humanistischen Grundhaltung: Lebensqualität für alle.
Es braucht ein Miteinander von allen Fachkräften vor Ort, von Ärzten, Therapeuten, von Hilfskräften, Pflegediensten, von Ehrenamtlichen, Vereinen, Kirchen und Gemeinden, es braucht eine Abwendung von Pflege und Betreuung hin zu Kompetenzzentren für Gesundheit mit einem neuen Rollenverständnis.
Bernhard Demmel (Training und Coaching) greift in seinem Impulsvortrag die Ansätze auf und vertieft die Betrachtungsweise. Die „Sozialräumlichkeit“ als solches sei ein teilweise irreführender Begriff, induziere er doch, dass es um einen Raum als solches ginge.
Tatsächlich stelle die Sozialraumorientierung den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Kernfrage ist „Was ist der Wille“, nicht, was der Leistungsanspruch sei oder ob die Zuständigkeit überhaupt gegeben sei.

Dabei werde zunächst der Wille und die Ressourcen des einzelnen Menschen ermittelt, in der Folge werden die sozialen Strukturen des Umfeldes, von Freunden und Familie betrachtet, ergänzend die des sozialen Umfeldes. Begleitend und ergänzend stehen die Unterstützungsangebote der Profis, der Wohlfahrtsverbände zur Verfügung, so Demmel. 
Für dieses handlungsgetragene Konzept braucht es Strukturen, die das ermöglichen, so Demmels enthusiastischer Appell für den Sozialraum.
In der nachfolgenden Diskussion wird deutlich, dass alle Beteiligten die absolute Notwendigkeit des Handels, der Reformation und Neustrukturierung des Systems sehen.
Andrea Rosner, stellvertretende Landrätin, ergänzt mit Erfahrungen aus ihrem beruflichen Umfeld „Wir haben zu viele Ressourcen, die nicht richtig eingesetzt werden“. Sie sieht die Kontrolle und die Organisation unmittelbar bei den Kümmerern und nicht bei behördlichen und rechtlichen Strukturen. Rosner ist überzeugt, dass man mithilfe von Modellprogrammen die ersten, richtigen Schritte initiiere. Die größte Herausforderung jedoch sei es, im Sozialraum Solidarität zu erreichen.
Rosenheims stellvertretende Bürgermeisterin Gabriele Leicht plädiert für Multiprofessionalität in der Pflege. Dazu gehören neben klassischer körperlicher Pflege auch kleine Hilfen wie zum Beispiel Einkaufswagen mit Sitzhilfen und Leselupen, die älteren Menschen auch weiterhin gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

„Ein wirkliches Rosenheimer Erfolgskonzept ist unser Weg der sozialraumorientierten Jugendhilfe mit den Bürgerhäusern als Anlaufstellen vor Ort in den Quartieren. Eine 1:1-Übertragung dieses Konzepts auf die Pflege ist momentan für die Stadt allerdings nicht finanzierbar“, so Bürgermeisterin Leicht abschließend.
Erwin Lehmann macht als Kreisgeschäftsführer der Caritas deutlich: „Wir brauchen kein versäultes Nebeneinander von Angeboten“. Es bedarf der Kollaboration und der Kooperation. Die Motivation eines Wohlfahrtsverbandes sei es zum einen, möglichst viel Hilfe für Menschen zur Verfügung zu stellen und im Idealfalle „nicht da zu sein“.

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