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Die drei Heimaten des Herrn Tagharrobi
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Die drei Heimaten des Herrn Tagharrobi

Seit 2014 lebt ein außergewöhnlicher Künstler im Landkreis Rosenheim – und hat noch viel vor

Karim Tagharrobi, Jahrgang 1952, spielt nicht nur meisterhaft Geige, er versteht sich auch meisterhaft auf das Bauen von Instrumenten. Und darauf, die vielen Welten, in denen er zuhause ist, zusammenzubringen. An der Werkbank, am Instrument und im Musikensemble.

Wenn Karim Tagharrobi von seiner ersten Heimat spricht, sagt er Persien. Persien, nicht Iran. Das ist ihm wichtig. Denn mit dem Mullah-Regime dort will er nichts zu tun haben.
Das Regime ist auch der Grund für seine zweite Heimat, Deutschland, das ihm ganz und gar Heimat geworden ist. Seine Kinder gingen hier zur Schule, seine Enkel sind hier geboren, längst hat er viele Freunde gefunden.

In die frühere, die erste Heimat reist er in 37 Jahren nur zweimal. Obwohl er noch viel Familie dort hat, Onkel, Tanten und drei Schwestern. Mit den Schwestern telefoniert er jeden Nachmittag. Sie zu besuchen allerdings ist zu gefährlich. Wer im Ausland lebt, steht unter Generalverdacht und riskiert, bei einer Reise in den Iran verhaftet und als vermeintlicher Spion oder aus anderen Gründen wie „Regimekritik“ oder „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ ins Gefängnis geworfen zu werden. Jetzt ist ein Besuch ganz unmöglich. „Seit der Protestbewegung „Frau. Leben. Freiheit“ ist es noch gefährlicher geworden“, sagt er.
Aber Karim Tagharrobi hat kein Talent für Selbstmitleid, Bitterkeit oder Groll. Er hat andere Talente. Einem dieser Talente hat er seine dritte Heimat zu verdanken: die Musik. Eine Heimat, der er sich mit großer Leidenschaft und Hingabe widmet, seit ein Onkel ihm als Kind die erste Geige geschenkt hat. Mit sieben Jahren fing er mit dem Geigenspiel an und hat seither nicht wieder damit aufgehört. Bis zum Alter von 19 Jahren nimmt er Unterricht beim großen, im ganzen Orient berühmten Geigenmeister Farhad Fakhreddini. Und gewinnt schon als Zehnjähriger den ersten Musikpreis bei einem Schulwettbewerb zwischen verschiedenen Schulen in seiner Geburtsstadt Teheran. 1977 macht er beim persischen „Barbad“-Wettbewerb den ersten Platz. Später studiert er zwar nicht Musik, sondern Kultur und Fremdsprachen, Hauptsprache Englisch. „Familienbedingt“ sagt er zu dieser Entscheidung aus Vernunftgründen, den Argumenten seiner Eltern folgend: Von Musik zu leben ist schwer, man verdient kaum etwas. Mach lieber parallel etwas anderes.

Das von den Eltern angeregte Doppelleben erweist sich dann auch als genau das Richtige für den vielseitig Begabten. In Teheran hat er eine gute Arbeitsstelle; nach der Arbeit wird musiziert. Er heiratet, bekommt mit seiner Frau Nahid zwei Kinder, ein gutes Leben.
Dann aber kommt das Jahr 1979. und mit ihm die Islamische Revolution. Der in der Bevölkerung verhasste Schah flieht ins Ausland, Ajatollah Ruhollah Chomeini kehrt aus dem Exil zurück und ruft wenige Monate später die Islamische Republik aus. Aber was die Revolutionäre angestrebt hatten – Freiheit von Unterdrückung, demokratische Wahlen, soziale Gerechtigkeit – erfüllt sich nicht. im Gegenteil. Das Leben wird nicht besser, sondern schlimmer. Und gefährlicher. Auch für Menschen, deren größte Leidenschaft die Musik ist.
„Man durfte keine westlichen Instrumente mehr spielen, das war verboten“, sagt Karim Tagharrobi. „Auch Instrumente wie Geige und Klavier.“ Immer wieder wird er, wenn er mit dem Auto unterwegs ist, von der Polizei aufgehalten. Wird. wenn er zum Musizieren fährt oder von dort kommt, verdächtigt, oft auch verhört: „Wo spielst du?“ „Spielst du in Clubs?“ „Warum bist du nicht in der Moschee beim Beten?“ „Weißt du nicht, dass Musizieren eine Schande ist?“ Das Doppelleben als Musiker wird lebensgefährlich.
Dreiunddreißig Jahre ist er alt, als er den Entschluss fasst, mit seiner Familie das Land zu verlassen. Für seine Kinder, zu jenem Zeitpunkt vier und neun, sieht er keine Zukunft im Iran. Für sich selbst auch nicht, denn ohne Musik kann er nicht leben. 1986 kommt die Familie in München an; Verwandte seiner Frau Nahid leben schon hier. Er macht noch einmal eine neue Ausbildung, Maschinenbau, arbeitet im Anschluss als Konstrukteur und greift ansonsten wieder auf sein Doppelleben zurück: tagsüber arbeiten, im Anschluss musizieren und Musik unterrichten – ganz ohne sich in Gefahr zu bringen.

Zum Bedürfnis, zu musizieren, gesellt sich in der neuen Heimat ein neuer Wunsch: die persische Musikkultur in Deutschland bekannt zu machen. Eine Kultur, die nun im eigenen Land verboten ist. Half das gegen Verlustgefühle? Na und ob! „Durch die Musik hatte ich gar kein Heimweh! Ich hatte Persien immer dabei“ sagt er so fröhlich, wie es Menschen eigen ist, die wirklich in ihrem Leben angekommen sind und dabei auch große Widrigkeiten und Herausforderungen gemeistert haben. Deutsch, diese im Vergleich zum weichen, blumigen Persisch eher sprerrige und harte Sprache, lernt er erst in Deutschland in Kursen. Aber wem die Musik eine Muttersprache ist, der ist überall heimisch, wo er musizieren kann. Und durch die Musik kann er nicht nur ein Stück Persien nach Deutschland holen, auch etwas anderes ist ihm wichtig: „Ich will auch etwas zurückgeben.“
Das tut er jeden Tag nach der Arbeit, gibt Unterricht in Geige, Klavier und persischem Hackbrett, gründet 1993 das Chakavak-Ensemble (für Interessierte: chakavak-ensemble.de). Sein Sohn spielt dort die zweite Geige, und er holt viele seiner Schüler ins Ensemble, alles in allem 25 Sängerinnen und Sänger und zehn Instrumente, die Stücke sind von ihm selbst komponiert. Das Ensemble spielt Konzerte in vielen Städten in Deutschland und sogar in den USA.
Dann kommt Corona, das Ensemble muss pausieren und verliert viele Mitglieder. Seit einiger Zeit stellt Tagharrobi sein Orchester nun neu zusammen. Sobald möglich, will er wieder Konzerte geben. Benefizkonzerte für die Klinik Rechts der Isar, wo ein Professor junge iranische Mädchen auf eigene Kosten operiert, die bei den Protesten im Iran ein Auge verloren haben.

Seit 2014 leben Karim und Nahid im Landkreis Rosenheim in Feldkirchen-Westerham, wo sie eine Wohnung fanden, die ihm einen großen Wunsch erfüllte: einen Hobbyraum im Keller zu haben mit einer Werkstatt für den Geigenbau. Denn er ist nicht nur Musiker, sondern auch ein Tüftler. Den Instrumentenbau hat er sich selbst beigebracht. Neugierde treibt ihn an: wie klingt eine Geige, deren hinteres Holzteil größer, deren Korpus flammenförmig ist oder die keinen Hohlraum mehr hat? Kann man aus einem niederländischen Holzschuh ein Streichinstrument bauen? 33 Instrumente hat er inzwischen gebaut, fast alles Geigen oder Kamanches, die persischen Schoßgeigen. 14 Patente zu Instrumenten laufen auf seinen Namen. Eine Gitarre hat er auch umgebaut: ihr oberer Teil trägt nun die Umrisse seiner ersten Heimat Persien.

Text und Foto: Gundi Herget

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