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„Tabletten gegen die Sucht?“

Chancen und Risiken von Medikamenten, die bei der Überwindung einer Alkoholabhängigkeit helfen sollen

Es ist schon paradox – Menschen mit einer Abhängigkeit von Alkohol sollen durch die Einnahme eines anderen Stoffes von ihrer Sucht geheilt werden? Ganz so einfach ist es leider nicht, auch wenn diese Vorstellung sehr verlockend klingt und durchaus auch dem Zeitgeist entspricht. Gerade bei der Behandlung von psychischen Problematiken erwarten viele Betroffene wahre Wunder vom Griff zur Tablette. Neben der unbestrittenen Wirksamkeit und auch Notwendigkeit zur Einnahme bei bestimmten Symptomatiken, wird dadurch nämlich möglicherweise auch verhindert, sich mit den persönlichen Anteilen die zur Erkrankung geführt haben auseinandersetzen zu müssen.

Seit einigen Jahren werden im Bereich der Alkoholsucht verstärkt so genannte Anti-Craving-Medikamente eingesetzt. Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass diese Medikamente nicht die Sucht als solches behandelt, sondern gegen das Verlangen Alkohol zu trinken wirken und somit Rückfällen vorbeugen. Das englische Wort craving verdeutlicht dies in seiner Übersetzung mit dem deutschen Wort Sehnsucht eindrücklich.

Alle zu diesem Zweck eingesetzten Medikamente stellen somit lediglich einen Baustein in der Alkoholtherapie dar, und können keine weiteren medizinischen oder psychotherapeutischen Maßnahmen wie eine Entgiftung, eine Entwöhnungstherapie oder auch Selbsthilfegruppen ersetzen. Sie können den Betroffenen aber sehr gut dabei helfen, gerade die erste Zeit nach der Beendigung mit dem Trinken psychisch stabiler zu sein, und somit auch mehr seelische Energie zur Überwindung der Abhängigkeit zur Verfügung zu haben. Im Gegensatz zu einigen anderen Psychopharmaka, besitzen Anti-Craving-Substanzen kein eigenständiges Suchtpotenzial, und können somit gefahrloser eingesetzt werden. Wie bei allen Medikamenten besteht aber auch hier die Gefahr von Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Stimmungsschwankungen.

Aus psychiatrischer Sicht ist es deshalb unbedingt notwendig, dass die Einnahme von einem Facharzt mit Erfahrung in der Behandlung von Suchterkrankungen überwacht wird, und eine ergänzende Suchttherapie stattfindet.

Das derzeit bekannteste Medikament nutzt den Wirkstoff Acramprosat. Es greift direkt in die Gehirnstoffwechselvorgänge ein, die durch den exzessiven Alkoholkonsum verändert wurden. Dadurch können Rückfälle in ihrer Häufigkeit und Schwere reduziert werden sowie die Dauer der Abstinenz verlängert werden. Da keine Wechselwirkungen mit Alkohol bestehen, kann die Einnahme auch im Fall eines Rückfalls weitergeführt werden. Eingenommen wird das Mittel in der Regel für eine Dauer von zwölf Monaten.

Häufig werden auch Medikamente mit den Wirkstoffen Naltrexon und Nalmefen verschrieben. Sie sind sogenannte Opiatantagonisten. Dies bedeutet, dass die entsprechenden Rezeptoren im Gehirn blockiert werden, was eine Abschwächung der belohnenden Effekte von Alkohol bewirkt. Dadurch kann die Abstinenz gestärkt werden und Rückfälle oder die Trinkmenge verringert werden.
Naltrexon wird in der Regel über einen längeren Zeitraum (drei bis zwölf Monate) eingenommen, Nalmefen dagegen nur für 14 Tage und danach lediglich bei Bedarf gegen hohen Suchtdruck.

Große Vorsicht ist bei beiden Stoffen bei der gleichzeitigen Einnahme von opiathaltigen Schmerzmitteln geboten.
Aufgrund der fehlenden Langzeiterfahrungen sollte von dem immer wieder als „Wunderpille“ gegen Alkoholabhängigkeit gepriesenen Stoff Baclofen Abstand genommen werden. Dringend abzuraten ist auch von der Einnahme des Wirkstoffs Disulfiram, der zu einer Art Alkoholunverträglichkeit führt. Wird dann Alkohol getrunken, führt dies zu Herzrasen, Schwindelanfällen, Übelkeit mit Erbrechen und im Extremfall zu lebensbedrohlichen Zuständen.
Zu allen Fragen rund um die Einnahme der genannten Medikamente oder zu Suchtproblemen allgemein können Betroffene oder Angehörige sich kostenlos und unter Schweigepflicht bei neon – Prävention und Suchthilfe Rosenheim beraten lassen. Erreichbar sind Mitarbeiter unter der Nummer 0 80 31/3 04 23 00 und im Internet unter www.neon-rosenheim.de.

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