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Geprägt von Toleranz, Offenheit und Selbstständigkeit
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Geprägt von Toleranz, Offenheit und Selbstständigkeit

Nachruf auf die Schlierseer Künstlerin Charlotte Dietrich

Mit großer Wehmut erfüllt uns der Tod der geschätzten und liebenswerten Charlotte Dietrich: anerkannte Künstlerin, leidenschaftliche Gremiumsarbeiterin, feinsinniger Naturmensch. Die Städtische Galerie Rosenheim widmete ihr 2015 eine Ausstellung zum 80. Geburtstag, der Kunstverein Rosenheim ehrte sie zum 75. mit einer Einzelausstellung, und die Gemeinschaft der Künstlerinnen und KunstförderInnen widmete ihr 2016 eine Sonderausstellung zum Jubiläum „90 Jahre GEDOK“. Im gleichen Jahr erhielt sie den Kunstpreis des Kunstvereins Rosenheim, hoch verdient für ihr künstlerisches Werk und für ihren unverzichtbaren Beitrag in der bayerischen Kunstszene. 1994 hatte sie bereits den Seerosenpreis erhalten.
Wenn es eine Künstlerin gibt, die unermüdlich zwischen Bonn, München, Schliersee, Bruckmühl und Rosenheim unterwegs war, sich in Gremien engagierte, Ausstellungen initiierte und organisierte und bei all dem keine Neider oder Feinde hatte, dann war es die Zeichnerin Charlotte Dietrich. Wie war das möglich, in einem Feld, das eher von Konkurrenz geprägt ist als von Unterstützung und Gruppengeist? Es war Charaktersache, denn dieser kennzeichnete die energiegeladene Dietrich, die als Vertreterin einer selbstbewussten Frauenkunst nie zu altern schien. Die immer neugierig war auf junge Kolleginnen und Kollegen, ihnen als Jurymitglied eine erste Chance gab und sich für alle Medien öffnete.

Sie selbst (Jahrgang 1935) hatte in München Grafik-Design studiert. 1966 gründete und leitete sie das Institut für Grafik in München. Aus dieser Position betreute sie ihre pflegebedürftige Mutter in ihrem Wohnort Schliersee und behielt ihre künstlerische Unabhängigkeit.
Seit den 1950er-Jahren nahm sie an internationalen Ausstellungen teil, darunter 1968 die Annuale della Arte Grafica in Ancona, 1979 die VI. Miedzynarodowe Biennale Grafiki in Krakau und 1988 die dritte Internationale Biennale von Kairo, für die sie den deutschen Beitrag leistete.
Charlotte Dietrich war Mitglied vieler wichtiger Gremien. Von 1985 bis 1998 war sie Bundesfachbeiträtin für Bildende Kunst der GEDOK, von 1989 bis 1995 Kuratoriumsmitglied des Kunstfonds e.V., von 1999 bis 2001 Vorsitzende des Schutzverbands Bildender Künstler in der IG Medien. Seit 1985 war sie Mitglied im Verwaltungsrat und Vergabeausschuss der Stiftung Sozialwerk der VG Bild-Kunst, seit 1991 Mitglied in Beirat und Jury des Kunstvereins Rosenheim, seit 1993 Vorstands- und Jurymitglied der Neuen Münchner Künstlergenossenschaft und seit 2001 Sprecherin des künstlerischen Beirats der Galerie Markt Bruckmühl.

Ein feines Katalogbuch (Charlotte Dietrich. Neue Zeichnungen, Berlin 2010) hält ihre Zeichnungen und Akte in extremen Positionen – meist Selbstporträts – und Übermalungen von Zeitungsausschnitten fest. Darin sagt sie: „Da ich gern in den Bergen bin, waren die Motive Felsklüfte, Geröllhalden, verwitterte Bäume. Irgendwann, eines Tages, fand ich alle diese Formen im Körper einer Frau.“ Dr. Hannah Stegmayer

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