Islamexperte Dr. Lüders Gast beim Wirtschaftsbeirat der Union bei Schattdecor
So schön es auch wäre: ein Happy-End der Flüchtlingskrise und der internationalen Terrorgefahr ist nicht in Sicht.
„Wir werden uns daran gewöhnen müssen, mit der Unsicherheit zu leben!“ Dieses Fazit zog der renommierte Islamexperte und Buchautor Dr. Michael Lüders bei seinem Vortrag „Pulverfass Naher und Mittlerer Osten“ vor über 200 Besuchern bei Schattdecor in Thansau nach vor den Anschlägen von Brüssel.. Lüders war auf Einladung des Wirtschaftsbeirates der Union im Bezirk Rosenheim gekommen und nahm die Zuhörer mit auf eine spannende und zuweilen verblüffende Reise durch die Welt der Außenpolitik. Der Vorsitzende des Wirtschaftsbeirats Andreas März sagte es schon in der Begrüßung: „Wenn wir über den Nahen und Mittleren Osten sprechen, dann reduzieren wir das oft auf religiöse und regionale Konflikte. Ich glaube, das ist viel zu kurz gegriffen. Wir müssen die Interventionen und die Politik des Westens kritisch hinterfragen.“ März hatte damit recht, denn das Fazit des Referenten fiel hart aus.
„Der Westen hat eine massive Verantwortung für die Flüchtlingskrise“, betonte Lüders. „Alle Beteiligten in den Krisenländern des Nahen und Mittleren Ostens haben Blut an ihren Händen.“ Grundfehler Nummer eins des Westens: „Alle Ziele sind darauf gerichtet, einen Regimewechsel herbeizuführen. Aber es gibt keinen Plan für die Zeit danach.“ Der Westen bedenke die gesellschaftlichen Strukturen in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens nicht. In Staaten wie Saudi Arabien gebe es wenige Superreiche in Familienclans, die ihr Vermögen immer weiter vermehren würden. „Die Staatskasse ist sozusagen die Familienschatulle. Investiert wird allenfalls in Tourismus oder Immobilien, das meiste Geld geht aber ins Ausland. Es wird nichts in Infrastruktur, Bildung oder soziale Sicherung investiert.“ Von Geburt an gehöre ein Bürger dieser Staaten einer Gruppe an, Aufstiegschancen gebe es nicht. Gesellschaftlicher Wandel ist deshalb nach Lüders Worten in diesen Staaten schwierig. Es fehle die soziale Basis, die stark genug sei, die Macht der Elite zu erobern und ein neues System zu etablieren.
Begonnen hat die Krise im Nahen und Mittleren Osten im Jahr 2003, als die USA und eine „Koalition der Willigen“ Sadam Hussein aus dem Amt fegten. „Hier hat es eben keinen Plan für die Zeit danach gegeben.“ Der zweite Fehler: die USA lösten die Armee auf und entfernten die Sunniten aus den Ämtern. „2000 Sunniten wurden arbeitslos, aber sie behielten die Waffen.“ Danach regte sich Widerstand gegen die USA, im Staat entstand ein Vakuum. All das wäre ein regionaler Konflikt geblieben, wenn nicht auch in Syrien ein Machtvakuum entstanden wäre. Dort brach der Bürgerkrieg in einem Aufstand gegen Machthaber al-Assad aus. Auch in diesem Land habe der Westen keinen Plan für die Zeit danach. „Es gibt keine gemäßigte syrische Opposition, die die Macht übernehmen könnte.“
Bomben auf Syrien würden das Problem nicht lösen, betonte Lüders. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf ein anderes Land: im Libanon drohe der Kollaps. Das Land habe 4,5 Millionen Einwohner und 1,5 Millionen Flüchtlinge. „Dort rekrutiert der IS bereits seine Kämpfer – auch unter Kindern. Hier müsste man ansetzen, den Menschen eine Perspektive und Bildung bieten.“
Lüders räumte mit der Vorstellung auf, die Intervention des Westens diene allein Menschenrechten, Demokratie und Freiheit. Vielmehr seien es Stellvertreterkriege der westlichen Staaten, die einen Sturz Assads wollten. Ihnen stünden Russland und China gegenüber, die ihren Partner Assad nicht verlieren wollten. Der Rat des Islamexperten: mehr Einigkeit in der Europäischen Union, Differenzierung der politischen Interessen, und vor allem: miteinander reden. „Die Devise heißt: man muss mit jedem Politik machen. Man muss nicht mit jedem ins Bett gehen.“ Deutschland müsse sich daran gewöhnen, dass Flüchtlingskrise und die Terrorgefahr so schnell nicht verschwinden werden. „Es gibt nicht die eine Lösung. Auch der Terror gehört dazu. Irgendwann wird es Terroranschläge in Deutschland geben, das ist eine Frage der Zeit. Aber es ist kein Anlass, unsere Gesellschaft in Frage zu stellen oder in Panik zu verfallen.