Zwischenbilanz nach einem halben Jahr Mindestlohn in der Praxis
Über Jahre heiß diskutiert, sorgte die Forderung nach einem Mindestlohn für Deutschland bei den Koalitionsverhandlungen zur derzeitigen Bundesregierung für fast unüberwindbare Grenzen. Während die einen der Wirtschaft keine Grenzen setzen wollten, forderten die anderen, dass ein Arbeitnehmer von einer Vollzeitarbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten können muss. Letztendlich einigte man sich auf einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. In Kraft getreten ist die Regelung zum 1. Januar 2015. Nach einem halben Jahr in der Praxis kann eine erste Bilanz gezogen werden.
Mit der Höhe des Mindestlohns an sich haben die wenigsten Arbeitgeber ein Problem. Zumindest ergibt eine Umfrage der Bayerischen Industrie- und Handelskammer (BIHK) unter 900 Betrieben, dass ihn fast 90 Prozent davon akzeptieren. Bauchweh bereitet hingegen bei der Umsetzung des Mindestlohns der große bürokratische Aufwand. Um zu belegen, dass alle Angestellten auf 8,50 Euro in der Stunde kommen, muss viel geschrieben, gerechnet, eingereicht und nachgeprüft werden. „Die Aufzeichnungspflichten der Arbeitszeit und die Auftraggeberhaftung verursachen kleinen und mittleren Betrieben einen vollkommen überzogenen Verwaltungs- und Kostenaufwand“, kritisiert BIHK-Präsident Sasse. Vor allem kleine Unternehmen, wie sie häufig auch in der Gastronomie zu finden sind, klagen. Das Beispiel der Zeitungsausträger zeigt, dass die Praxis nicht immer einfach ist. Wurden die Austräger bisher im Wesentlichen nach der ausgetragenen Stückzahl bezahlt, ist es nunmehr nötig, eine Formel zu finden, um die benötigte Zeit einzuberechnen. Schließlich sind 500 Zeitungen in der Innenstadt schneller verteilt als auf dem Land, bei gleicher Stückzahl ergibt sich ein anderer Stundenlohn.
Die Bürokratie-Belastung sowie Unklarheiten über die Umsetzung dürften die Hauptgründe dafür sein, dass 17 Prozent der Betriebe Stellen gestrichen haben. Im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt dies sogar jedes zweite Unternehmen an.
Betroffen sind nach BIHK-Einschätzung vor allem Mini-Jobs, bei denen nun generell die Arbeitszeit protokolliert werden muss. Neben den Dokumentationspflichten stößt sich die Wirtschaft an der Generalunternehmerhaftung. Damit haften Auftraggeber dafür, dass Subunternehmer den Mindestlohn zahlen. Laut BIHK-Umfrage fordern hier 72 Prozent der Unternehmen eine Erleichterung. Jedes zweite Unternehmen wird von Auftraggebern aufgefordert, Mindestlohnerklärungen abzugeben. „Die Unternehmen müssen für etwas bürgen, das sie nicht kontrollieren können“, beklagt BIHK-Präsident Sasse. Das verunsichere die Unternehmen massiv.
Daran änderten laut Sasse auch die zu Beginn der letzten Woche veröffentlichten Änderungen nichts. Nach den Plänen des Bundesarbeitsministeriums sollen die Aufzeichnungspflicht der Anfangs- und Endzeit der Arbeit nach dem Mindestlohngesetz entfallen, wenn das regelmäßige monatliche Arbeitsentgelt der vergangenen zwölf Monate bei mindestens 2000 Euro brutto liegt. Bisher lag die Grenze bei 2985 Euro brutto. Insgesamt sieht Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, die Reform als geglückt an. 3,7 Millionen Beschäftige im Niedriglohnsektor profitierten durch gestiegene Löhne.
Als einen Schritt in die richtige Richtung sieht Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig die Erleichterung in der Aufzeichnungspflicht: „Für beschäftigungsintensive Unternehmen wie in der Hotelerie und Gastronomie sind die verminderten Aufzeichnungspflichten ein erstes gutes Zeichen im Hinblick auf eine praktikable Umsetzung des Mindestlohngesetzes. Dem müssen weitere Schritte folgen.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund Bayern mit seinem Vorsitzenden Matthias Jena sieht sich vor allem durch die Arbeitsmarktzahlen bestätigt: „Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Horrorszenarien über angebliche negative arbeitsmarktpolitische Wirkungen des Mindestlohns können nun in das Reich der Fabeln verbannt werden. Der bayerische Arbeitsmarkt zeigt etwas anderes.“ nu